Deine Geschichte: Nicole, Teil 1

Die Story – Wie die Angst das Ruder übernahm

Ich weiß viele Details noch, als es sei es erst gestern geschehen. Mein Kopf versteht diese Situation perfekt zu inszenieren. Ich fühle den Tag, ich fühle den Moment. Ich spüre das, was ich erlebte. Auch heute noch – mehr als zwanzig Jahre danach ist mir alles doch noch nahe. In einer Deutschstunde, wie sie von der Thematik langweiliger nicht hätte sein können. Ich hatte große Schwierigkeiten dem Thema überhaupt zu folgen. Es war so ein nettes, gelbes Reclamhaft mit schwerer, deutscher Kost, deren Sinn und Aussage nicht einmal schaffte in meinem Kopf Platz zu bekommen..Also schaute ich aus dem Fenster in das triste, dunkle Wintergrau. Im Klassenzimmer schaute ich auf fremde Gesichter.Ich weiß, man mochte mich nicht oder besser gesagt man hasste mich. Das ist aber eine andere Geschichte.. Vielleicht gab es den einen oder anderen der in meinen Augen meine Trauer und Verletztet erkannte, aber wir waren jung und wir waren alle Schauspieler auf der Entdeckungsreise unserer Leben. Jeder in seiner ureigenen Rolle…einige Menschen haben die Aufgabe erhalten eine „schwierigere“ Rolle zu meistern…

Meine Fassade saß immer perfekt..ich schenkte den Leuten Lächeln, obwohl diese sich bei meinem Umdrehen in Waffenposition brachten und zuschlagen wollten. Ich blieb jedoch „äußerlich“ eine Wand, freundlich, stark,.innerlich war die Welt zerbrochen und voller Trauer! Ich wusste dem nichts entgegen zu setzen. Es hatte einfach nicht gereicht: Nett zu sein, anders zu sein! Ich verstand auch nicht wirklich, warum diese Ablehnung entstanden ist. Damals nicht…! Heute ja..

Aber die „Panikattacke“ zerschlug alle Gedanken an diesem Tag. Ich wusste erst gar nicht was genau passierte. Ich spürte nur ein Gefühl einer Ohnmacht; meine Augen konnten die Umgebung nicht mehr wahrnehmen – das Atmen war mir unmöglich..es drehte sich alles..alles verschwand in der Ferne! Das war das Ende meines jungen Lebens, fuhr mir sofort in den Sinn. Ich krallte mich mit schweißnassen Händen an die Tischkante, schluckte und zitterte und sagte: Okay, dass war es nun, dein Leben. Du bist 17 Jahre alt und es ist vorbei.. Ich nahm keinen Menschen mehr wahr..ich rang nach Luft und alles drehte sich…Etwas in mir wollte nur aus diesem Raum rennen, dem soeben Erlebten entfliehen, einen Knopf finden, um STOP zu drücken. Doch es fand sich nichts…es schien eine Ewigkeit zu dauern… bis ich merkte, dass ich mich wieder in der Situation „Klassenzimmer“ befand und die leiernde Stimme der Deutschlehrerin wahrnehmen konnte. Ich fühlte mich vollkommen erschöpft…und ich weiß nur wie mir die Gedanken gleichsam einer wilden Achterbahnfahrt durch den Kopf schossen: Was um Gottes Willen war das soeben Erlebte? Was war es…? Endlich die Schulstunde war zu Ende! Als ich aufstand, dachte ich jeder sieht mir an, was mit mir soeben passiert ist. Aber niemand nahm Notiz. Ich stand auf und merkte nur, dass meine Beine zitterten! Ich schien kraftlos und müde. Ich weiß noch wie ich mich zur Deutschlehrerin hinbewegte und stammelte, dass es mir nicht gutgehe und sie mich bitte nach Hause entlassen sollte. Ein Nicken nahm ich wahr und ich ging wie in Trance aus der Schule… vor mir lag noch eine Busfahrt von mehreren km. Ich weiß nicht mehr im Einzelnen wie ich diese durchlebte…ich fühle nur noch, dass ich geschockt war.

Zu Hause setzte ich mich in mein Zimmer an den Schreibtisch. Er lag direkt am Fenster… ich schaute auf die Nachbarhäuser und versuchte zu begreifen was ich erlebt hatte. Ich hatte immer noch große Angst vor dem Verstehen, was mit mir passiert war. Wie sollte ich es überhaupt meiner Familie erklären, wenn ich es doch selber nicht begriff?

Seit diesem Erlebnis verlief mein Leben anders, wie es bei einem jungen Menschen hätte laufen sollen und müssen. Ich tauchte in die Welt ein – eine Welt des Versteckens, eine Welt der ständigen Erwartungshaltungen vor erneuten Attacken.

Ich zog mich von allen sozialen Kontakten immer mehr zurück. Es ging noch ein paar Jahre weiter – Jahre, in denen ich mich vorwagte und bei der spürbaren Panikattacke mit fliegenden Fahnen nach Hause flüchtete..Niemand sagte mir, was mit mir los sei..Niemand konnte mir das Gefühl nehmen, dass mein Denken sich darauf ausrichtete nicht normal zu sein…Ich war anders..ich war gefangen…in meiner Welt! Niemand bemerkte es..selbst meine Familie durchbrach nicht diese Mauer..Ich konnte es perfekt verbergen..Ja, ich weiß, ich war und bin manchmal eine verdammt gute Schauspielerin! Doch das macht unglücklich! Und ich schämte mich für das was ich war! Ich fand mich schwach…kapitulierte vor mir, vor der Angst, vor der Welt..und mein Leben wurde immer enger..

Der Kreisel drehte sich immer schneller! Mit Anfang zwanzig Jahre war ich nicht mehr in der Lage weiter als das Leben um den Häuserblock zu erleben… selbst das wurde zu einem Kampf! Meine Eltern erkannten langsam die Lage, aber zugezogene Ärzte konnten uns aus der Misere nicht befreien. Ein „Facharzt“ schaute mich bei einem „Hausbesuch“ an und meinte:“ Ich verstehe Sie nicht! Sie sehen doch gut aus!“ Er wandte sich ab und sprach in meinem Beisein zu meinen Eltern:“ Die ist nur faul! Setzen Sie sie doch auf die Straße. Da wird sie schon merken wie das Leben wirklich ist. Hier sitzt sie doch in einem goldenen Käfig!“

Ab diesem Tag ließ ich niemanden mehr an mich heran. Ich schloss ab, verriegelte alles. Gleichzeitig begann ich aber Bücher, Fachbücher über meine Panik zu lesen, ich begann Sprachen zu lernen! Ich war sehr ehrgeizig. Ich vermisste soziale Kontakte,…ich träumte von Urlaubsreisen, ich stellte mir vor, wie es ist in eine Disco zu gehen, Spaß zu haben, zu machen wonach einem ist…ohne ständig Angst im Kopf zu haben. Aber das war mir so fremd geworden… es war alles anders. Alle sozialen Kontakte, die ich zuletzt hatte, wandten sich dann von mir ab. Warum auch? Was wollen sie mit einem Mädchen anfangen, die mit zwanzig nur im Haus hockt und ständig die besten Ausreden parat hat, warum sie diese oder jene Aktivität doof findet (was natürlich alles gelogen war). Ich suchte mir Briefkontakte! Die fand ich auch..ich glaube ich hatte zeitweise über zwanzig Briefkontakte aus allen Herrenländern. Es tat so gut vom normalen Leben zu lesen..einige wollten mich auch persönlich treffen, kennenlernen…aber das war der Zeitpunkt wo ich sofort abwiegelte..Ich versuchte mich selber zu verstehen, mit dem Wissen was ich mir aneignete..doch ich verstand mich nicht! Immer weniger..ich schloss auch die letzten Türen meiner inneren Welt zu.

Ich saß gefangen…Jahrelang!

Traurig!

Einsam!

Das Leben lief so weiter in der eigenen Gefangenschaft..in mir flackterte aber immer wieder eine Hoffnungsflamme auf! Klein und wärmend. Das hielt mich fest, fest an dem Glauben, dass ich das Leben wieder spüren darf! Eines Tages..in meinen Vorstellungen, in meinen Träumen…

Wie geht es weiter?

Gute Frage, die ich mir sicherlich jeden Tag unzählige Male stellte. Ich stellte sie mir morgens und auch abends.
Nachts lag ich im Bett und dachte, dass das Leben wohl nie wieder anders werden wird. Ich war nun Anfang zwanzig und jeder Tag meines Lebens fand im Haus meiner Eltern statt. Es gab keinerlei Abwechslung. Alles verlief jeden Tag gleich. Jeder Morgen erwartete mich mit dem Wissen, dass ich gefangen lebte! Gefangen in meiner Welt und Angst hatte das Haus zu verlassen. An manchen Tagen saß ich im Garten, an anderen ging ich bis zum Nachbarn, aber stets mit einem Rucksack Gepäck – der Angst und der Angst vor der Angst. Es gab keine Freunde – außer einem Bekannten, der jeden Tag fast zu mir kam am Abend. Er war Grieche und wir hatten uns kennengelernt, als ich in einem Fitnesscenter jobbte, noch bevor mich die Angst komplett lähmte. Seine Eltern ließen sich damals scheiden und er hatte noch drei jüngere Geschwister, die extrem unter dieser Situation litten. Dazu kamen hochkomplizierte Schreiben, die sein Vater nicht verstand und viel Schriftverkehr, der nicht von ihm alleine zu bewältigen war. Ich bot meine Hilfe an und so wurde der Kontakt enger. Ich hatte mir nämlich schon sehr gut Griechisch beibringen können! Ich übersetzte oft die Anwaltsschreiben für den Vater und half ihm auch das „Bürokraten deutsch” zu verstehen oder Schriftstücke aufzusetzen.

Die kleineren Geschwister hatten Schulprobleme und somit passierte es nicht selten, dass ich mit Ihnen ihre Schulaufgaben durchging und versuchte etwas Schulstoff in die beiden zu bekommen. Zu dieser Zeit traute ich mich noch mit meinem Auto maximal zum benachbarten Stadtteil zu fahren. Hier ging ich auch noch zur Höheren Handelsschule, aber das schaffte ich oftmals nicht mehr jeden Tag und auch nicht mehr einen ganzen Schultag. Meist war ich nach der vierten Schulstunde so müde vom Angstaushalten, dass ich gerade noch ohne Panikattacke nach Hause flüchten konnte. Meine Mitschüler fanden mich und mein ganzes Verhalten sonderbar und ich war der komplette Außenseiter. Ich musste ja auch meine Problematik verbergen. Es mag Ihnen auch ein Dorn im Auge gewesen sein, dass ich trotz meiner Fehlstunden und dem oftmaligen Nichterscheinen keine Probleme mit dem Schulstoff zeigte, was mich umso mehr zu einem Außenseiter machte. Mein größter Gegner war meine Angst…Lernen fiel mir selten schwer.

Aber der Kreis wurde enger..! Mein Mut verließ mich immer mehr und ich fühlte mich dazu einfach nur schlecht und konnte es nicht verstehen, dass ich mich der Situation nicht einmal mehr stellen konnte. War ich denn nun ein kompletter Versager?
Ich bin ehrlich! Ich beneidete jeden Mensch, der sein Leben planen konnte. Ich wollte doch zur Uni gehen und studieren. Ich wollte lernen…ich wollte eines Tages erfolgreich sein, selbstbewusst mein Leben gestalten.

Aber was war ich? Ich war feige – in meinen Augen feige. Ich ließ mich von meinen Attacken leiten und kapitulierte. Ich gab einfach so auf, einfach feige auf!
Es kam der Tag! Ich weiß nicht einmal wann er kam. Jedenfalls saß ich wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa mit meinen Eltern und versuchte zu erklären, was ich eigentlich nicht wirklich selber verstand. Was ich viele Jahre verbarg. Was ich für Kämpfe führte, die ich nie hätte gewinnen können.
Es flossen viele Tränen und natürlich meinten die Eltern: Ich müsse mich doch einfach mehr quälen und zusammenreißen. Aber wie? Ich war schwach! Ich hatte gekämpft – immer wieder – ich kämpfte wie verrückt. Sie kannten doch meine vielen Versuche nicht! Meinen Willen mich jeden Tag diesen Zuständen zu stellen..und ich schaffte es einfach nicht mehr. Gar nicht mehr…

Kapitulation! Anfang zwanzig und das vor meiner Zukunft und dem Leben!
Was macht man da? Meine Eltern und ich wussten aber nun, dass das was mich quälte einen Namen hatte. AGORAPHOBIE Ja, das war es. Ich las Bücher; ich sah im TV zufällig einen Bericht über eine Frau, die gleiches schilderte, was ich jeden Tag seit Jahren erlebte. Ich hatte mir ja Bücher besorgt. Zu der damaligen Zeit war das Thema Phobie noch nicht so präsent. Es gab einzelne Bücher, aber die erinnerten eher an Freudsche Selbstexposition. Und das gab mir erneut den Dämpfer im Wissen um mich, dass ich ja genau das viele Jahre versuchte. Ich hatte versucht mich diesem zu stellen..und es auszuhalten, stark zu bleiben..

Es war die Rede von einer Konfrontationstherapie, von einer erfolgreichen Behandlung binnen zwei Wochen durch Flooding, einer kognitiven Verhaltenstherapie. (massives Aussetzen in Angstsituationen).
Das war es! Mit neu gewonnen Optimismus berichtete ich meinen Eltern über diese Frau, diesen Bericht und schrieb mir alles genau auf. Voller Elan suchte ich alle Informationen zusammen. Bloß wie soll ich überhaupt dorthin kommen? Wie sollte ich jemals das Haus verlassen? Das war für mich gedanklich gar nicht ausmachbar. Überhaupt nicht – schon alleine der Gedanke führte mich in einen Anflug von Panik.

Meine Eltern kontaktierten einen Arzt. Es war eine ganz normale Hausärztin. Andere angesprochene Ärzte wollten keine Hausbesuche machen. Zu oft hörten wir: Sie kann nicht kommen? Gut, dann will sie nicht. Dann kann ich nicht helfen…

Die Hausärztin kannte diese Krankheit nicht und ließ sich alles erklären. Sie gab auch offen zu, dass sie mir nicht helfen kann. Leider! Aber sie meinte ich solle es mal mit Tabletten ersuchen! Tabletten? Oh je – auch davor hatte ich eine Heidenangst! Das, was sie mir vorschlug war mir auch ein Begriff. Tavor, ein Benzodiazepin. Ein Mittel, was einen hohen Suchtfaktor hat. Aber ich wollte ja gesund werden und ich wollte mich ja auch in Behandlung begeben. Also nahm ich es.. Natürlich mit großer Angst, denn auch davor hatte ich Angst. Diese Tablette zu schlucken. Wird sie mich verändern?

Ich nahm es ungefähr zwei, drei Monate! Wirklich besser fühlte mich nicht. Im Gegenteil! Ich war ständig müde, konnte mich schlecht konzentrieren und eine innere Ablehnung stieg immer mehr an. Was also machte ich? Ich schmiss diese Tabletten weg und sagte mir: Das muss nun auch so klappen!

Ich hatte in der Zwischenzeit zu dem Institut, über dieses ich im TV hörte, schon Informationen bekommen. Ich habe dort hingeschrieben und es gab sogar eine gute Nachricht. Eine zweite Klinik war geplant und das in Münster. Münster war nicht so weit weg wie die Klinik, die ich eigenglich anvisiert hatte. Die wäre in Marburg gewesen. Schon bald hatte ich die Zusage als einer der ersten Patienten dort in dieser Klinik die Behandlung, die etwa zwei, drei Wochen dauern sollte, beginnen zu können.

Leider war die Entscheidung das Tavor abzusetzen nicht sehr klug gewesen. Nun war ich nur noch ein Häufchen Elend. Ich konnte kaum aus dem Bett aufstehen, ich zitterte nur noch und erlebte einen Zustand von Dauerpanik. Das waren tatsächlich Entzugserscheinungen. Ich weiß nur, dass ich unsagbar litt und mit mir auch meine Familie, die ziemlich erschrocken und ohnmächtig meinen Zustand beobachteten.
Irgendwann wurde ich ins Auto abends gepackt und in ein Krankenhaus gefahren. Dort weiß ich nur noch, dass ich auf einem Stuhl vor einem Professor saß und dem mit großen Konzentrationsschwierigkeiten und Angstgefühlen meine „Geschichte“ erzählte. Ich wurde dort stationär aufgenommen.
Und das erste was man mir geben wollte? Schon wieder Tabletten! Nee, in mir sträubte sich alles. Ich nehme keine Tabletten mehr. Nicht wieder..

Ich machte mich so in meiner Patientenrolle sehr unbeliebt und das gab man mir auch klar zu verstehen. Der Professor schimpfte und nannte mich Prinzessin! Ich fühlte mich nicht wohl dort. Sie verstanden mich dort nicht! Das merkte ich! Ich wollte nach Hause. Sie verstanden auch mein Krankheitsbild nicht…
Ich erklärte es meinen Eltern und sie erkannten, dass ich dort nicht richtig aufgehoben war. Das war mein zweiter Weg nach zwei Jahren wieder in der Welt! Der Weg vom Krankenhaus nach Hause.
Wieder zu Hause erholte ich mich langsam ! Der „Entzug“ wurde schwächer und ich hatte nun auch einen Termin für Münster. Direkt nach Weihnachten sollte ich dort sein und ich durfte abends kommen. Die Klinik eröffnete offiziell erst am 1. Januar. Komischerweise fühlte ich mich schon länger immer in der Dunkelheit sicherer und konnte mir nur und überhaupt vorstellen nach Münster zu fahren wenn es dunkel ist.

Der Tag kam!
Ich weiß noch, dass mein Inneres signalisierte den Kampf aufzunehmen. Egal was kommt..ich war bereit. Ich wollte…
Ich hatte auch einen großen Druck! Ich wusste, dass mein Papa rund 10.000 DM für diese Therapie zahlen musste. Ein Batzen Geld! Ich wollte ihn auch nicht enttäuschen. Der Druck war immens. Das war sie, die BIG CHANCE!

Es war eigenartig dort. Ein Riesenhaus, viele Zimmer. Die Zimmer waren wie in einem Hotel! Es war alles sehr gehoben, alles neu und leer. Und kaum Menschen. Leere Etagen. Es war sehr still. Mit mir waren noch lediglich zwei andere Patienten dort. Ein Mann, der offenbar ein Alkoholproblem hatte und ein Mädchen, die an Magersucht litt.

Die Therapie war mega, mega anstrengend. Die Therapeutin war sehr jung – frisch von der Uni und vollkommen mit mir überfordert. Das weiß ich! Emotional und auch von meiner Persönlichkeit. Es war nicht einfach..die Therapie verlief nicht wirklich rund und es gab energische Diskussionen, wo besonders die Therapeutin häufig zickig und beleidigt reagierte. Eine zusätzliche Belastung. Ich sprach nur meine Gedanken aus…und sie hatte enorme Schwierigkeiten, dass ich ein so „schwieriger“ Patient war. Ihr geplantes Konzept mich von einer in die nächste Angstsituation zu schicken in ihrer Erwartungshaltung Panikattacken auszulösen. scheiterte, da ich keine Attacke bekam. Ich war nur aufgeregt, überwältigt mich in der Welt zu bewegen..Bei ihr führte es zu Frust und bei mir zu meiner eigenen Erkenntnis, dass ich mich wieder „draußen“ bewegen konnte, zur Euphorie. Es entstand eine Konfliktsituation zwischen der Therapeutin und mir, die einen schädlichen Einfluss auf die Gesamtheit der Therapie übertrug, da sie auch in Diskussionen, im Austausch der Gedanken unter uns gegenseitig nicht ausgeräumt werden konnten.

Ich erreichte aber großartige Ziele, wenngleich nicht alles klappte. Ich war binnen einer Woche in Hamburg/Kiel/Köln gewesen mit dem Zug, habe in einer Pension in Kiel geschlafen und war am Meer entlang gelaufen, bin durch Kaufhäuser gelaufen, U-Bahn gefahren, Auto gefahren, habe endlich wieder Menschen gesehen, einen Friseur besucht, eingekauft..es war einfach in der Gesamtheit überwältigend und ich war noch sehr lange nicht von meiner Angst weg, aber ich ging geradeaus und ich hatte immer mehr Mut mich der Angst zu stellen. Den Situationen. Und wichtig war für mich, ich merkte, dass ich es konnte! Ich hielt es aus und hatte den Willen mich wieder neu auf viele Situationen einzulassen.

Ich schränkte mich noch ein – das weiß ich! Stimmte z.B. das Wetter nicht, fühlte ich mich nicht wohl, wollte ich etwas nicht ,..dann verfiel ich in mein altes Kapitulationsmuster..es gab immer wieder kleine Rückschläge. Doch, was ich im ersten Anlauf nicht schaffte, klappte dann im nächsten oder übernächsten. Hier danke ich meinem ureigenen Ehrgeiz, der mich immer motiviert, wenn ich zur Aufgabe tendiere.

Nach zwölf Tagen wollten mich meine Eltern abholen und sie liefen an mir vorbei! Sie hatten mich nicht erkannt. Ich war ja beim Friseur gewesen und der junge Friseur (einer der besten, der je meinen Kopf unter seinen Finger hatte), hat mir eine völlige Typveränderung geschenkt. Dazu die neue Kleidung..sie liefen einfach vorbei. Sie erkannten mich nicht.
Ich musste natürlich lachen…und wir fielen uns in die Arme.

Der Nachhauseweg von Münster war nicht leicht. Anfangs hatte ich mit Panik zu kämpfen. Da war er nun ein Anflug von Panikanfall. Ich saß neben meiner Mutter! Sie musste mir gut zureden. Ich war noch lange nicht über dem Berg, das war klar! Irgendwie wusste ich nicht, was mich nun erwartete – in der Zukunft.
Aber nach nur 12 Tagen hatte mich die Welt irgendwie wieder, vor der ich mich viele Jahre verschlossen hatte. Ich fühlte mich wieder wie ein Mensch.

Noch am Abend besuchte mich der Grieche und ich wollte selber mit dem Auto fahren und zeigen, was ich kann. Wir besuchten einen gemeinsamen Bekannten und ich fand das, dass Leben sich wieder toll anfühlte. Aber so richtig..einfach so normal!

Die nächsten Monate war ich voller Ehrgeiz. Ich nahm mir ständig neue Herausforderungen vor. Ich steigerte mich. Ich fuhr in die Großstadt zum Shoppen, ging ins Kino, in ein Restaurant, zum Zahnarzt, ich ging abends aus, ich ging zu Veranstaltungen, traf Familienmitglieder, ich besuchte einen Sprachkursus in der Volkshochschule, besuchte Konzerte,..ich fuhr in den Urlaub. Nach so vielen Jahren das erste Mal wieder in den Urlaub. Das war überwältigend, dass ich mich dort auf eine Bank setzen musste und die Tränen vor lauter Freude liefen. Ich schenkte der Welt mein Lächeln…
Und ich wollte nun arbeiten. Das stand für mich fest. Ich musste etwas tun! Ich wollte Geld verdienen.
Zunächst hatte ich mir vorgenommen einen Teilzeitjob anzunehmen, um zu prüfen ob ich diesem bestehen würde. Schon gleich der erste Anlauf klappte. Ich konnte in meinen Stadtteil den Job antreten. Und ich begann auch diesen mit großem Einsatz und war bei den Kunden sehr schnell beliebt. Es machte Spaß und ich fühlte mich wertvoll. Ich hatte zwar sehr oft noch viel Angst, aber sie war nur noch ein Begleiter – sie versperrte mir kaum noch den Weg! Sie machte mir nur manchmal ein paar Tage etwas schwerer. Schon wenig später stellte ich mich bei einem Bürojob vor und auch da wurde ich vom Fleck weg eingestellt. Ich hatte einen richtigen Job – einen Job, der sogar sehr stressig war und Verantwortung verlangte. Sogar am PC war ich schon fit..Es war ein Familienunternehmen und ich war dort im Büro Mädchen für Alles!

Es sah alles so positiv aus – wenn ich doch nur hätte ahnen können, dass die Hölle noch vor mir liegen würde..Ich hätte es zu dem Zeitpunkt auch nicht mir vorstellen können.

Es ging auch wieder abwärts und es ging leider richtig abwärts…