Somatic Experiencing ist eine Methode der Trauma-Therapie, die davon ausgeht, dass posttraumatische Störungen auf einer unzureichenden körperlichen Verarbeitung traumatischer Erlebnisse beruhen. Die Ursachen hierfür werden dabei im Nervensystem gesucht. Somatic Experiencing wurde als Therapieform in den Siebzigerjahren von Peter Levine entwickelt und wird heute weltweit angewandt.
Die drei Reflexe des Menschen in Gefahrensituationen
Tiere, die Gefahrensituationen ausgesetzt sind, können drei verschiedene Reaktionen an den Tag legen: Flucht, Aggression oder Erstarrung („Totstellen“). Menschen reagieren auf Situationen, die sie als bedrohlich empfinden, in der Regel mit den gleichen drei Reflexen. Da sie, anders als Tiere, aber nicht völlig instinktgesteuert sind, sondern auch der rationale Teil des Gehirns eine Rolle spielt, ist die Reaktion komplizierter. Im schlimmsten Fall kann es dazu kommen, dass die Abfolge von Reflexen nicht zu einem Abschluss gebracht wird und dadurch die bedrohliche Situation körperlich nicht vollständig verarbeitet wird.
Das Nervensystem bringt dann teilweise auch lange nach dem Ende der akuten Bedrohung noch instinktive Folgereaktionen hervor, die das körperliche und psychische Wohlbefinden beeinträchtigen: Es liegt ein Trauma vor. Typischerweise treten bei traumatisierenden Ereignissen die drei Reflexe Flucht, Angriff und Erstarrung in komplizierten Kombinationen auf, die der Betroffene nicht willentlich beeinflussen kann.
Der innere Aufbau von Traumata
Die meisten Menschen sind im Verlauf ihres Lebens mit mehr als einer traumatischen Situation konfrontiert. Die verschiedenen Traumata wirken typischerweise im Unterbewusstsein zusammen und bilden ein traumatisches System, das oft noch Jahre nach den auslösenden Ereignissen zu Beeinträchtigungen führen kann. Bekannte Symptome von traumatischen Störungen sind etwa psychische Beeinträchtigungen wie Depressionen, Bindungsunfähigkeit, Panik oder Schlafstörungen, aber auch körperliche Erkrankungen wie Migräne. Die Auslöser von Traumata können durchaus wirklich lebensbedrohliche Ereignisse wie Unfälle oder schwere Erkrankungen sein, notwendig ist das aber nicht; auch Verlusterlebnisse wie Todesfälle im persönlichen Umfeld oder das Scheitern einer Beziehung können traumatische Folgen haben. Häufig lässt sich dabei vom Betroffenen selbst der direkte Bezug zwischen den Symptomen und dem auslösenden Ereignis nicht mehr herstellen, da das Erinnerungsvermögen blockiert ist. Die direkte Konfrontation mit dem ursprünglichen Auslöser wird dann als belastend empfunden und kann in extremen Fällen sogar zu einer Retraumatisierung führen.
Der Ansatz des Somatic Experiencing
Somatic Experiencing zielt darauf ab, den Betroffenen einen vollständigen Abbau der Reaktionen auf traumatisierende Ereignisse zu ermöglichen. Der Begründer der Methode, Paul Levine, betrachtete das Trauma als Einschränkung des Nervensystems, die auf unvollständige Reaktionen auf Ereignisse zurückgeht, die als bedrohlich wahrgenommen wurden. Da die typischen Reflexe in diesem Fall auch lange nach dem Ende des auslösenden Ereignisses weiterwirken, kommt es zu Beeinträchtigungen in der Folgezeit. Dem Nervensystem steht dann nicht mehr sein voller Funktionsumfang zur Verfügung, weshalb es nicht mehr flexibel auf seine volle Energie zurückgreifen kann. Somatic Experiencing versucht, dieses Problem zu lösen, indem es die Folgereaktionen endgültig zu einem Abschluss bringt. Die körperlichen Prozesse stehen dabei gegenüber der psychischen Traumatisierung im Vordergrund. Die Methode sucht nach Ressourcen, die es dem Betroffenen individuell ermöglichen, das Trauma zu überwinden und dem Nervensystem seine volle Freiheit zurückzugeben.
Ablauf der Therapie
In der Regel kommt beim Somatic Experiencing eine Gesprächstherapie zum Einsatz. Eine besondere Rolle kommt dabei der Körperwahrnehmung des Patienten zu. Eine direkte Konfrontation mit dem ursprünglich traumatisierenden Ereignis ist nicht notwendig, da das Ziel des Somatic Experiencing in erster Linie in einer Neuordnung der nervlichen Reaktionen besteht. Zu starke emotionale Belastungen werden im Verlauf der Therapie vermieden, um Überforderungszuständen vorzubeugen und eine Retraumatisierung zu verhindern. Stattdessen wird streng darauf geachtet, die Intensität der Verarbeitung gezielt zu steuern. Erreicht werden soll eine neue Strukturierung der Traumawahrnehmung, die schließlich körperlich direkt auf das Nervensystem wirken kann. Die traumatisierte Person wird für dieses Problem sensibilisiert, damit die zur Verfügung stehenden Energien optimal ausgenutzt werden können.
Diese Einbeziehung des Betroffenen in die Problemlösung ist beim Somatic Experiencing essenziell.
Das Ziel ist eine Neuordnung der reflexhaften Reaktionen, die schließlich einen Ausweg aus dem Teufelskreis ermöglicht und dem Nervensystem sein ursprüngliches Verhaltensrepertoire zurückgibt. Vom Betroffenen wird dieser Prozess als befreiend empfunden; er macht verschütt gegangene Energien wieder nutzbar und löst den Körper aus den reflexartigen Verhaltensmustern, die auf die Traumatisierung zurückgehen.
Geschichte des Somatic Experiencing
Peter Levine, ein promovierter Biophysiker und Psychologe, entwickelte den Ansatz des Somatic Experiencing ursprünglich in den Siebzigerjahren im Rahmen seiner klinischen Tätigkeit in den USA. Als Begründer der „Foundation for Human Enrichment“ versuchte er, ein gesteigertes Bewusstsein für die Probleme der Traumatisierung in der Öffentlichkeit zu erreichen und so einen effektiveren Umgang mit den Folgeerkrankungen zu ermöglichen. Besonders in den Krisenregionen der Welt kommt es nach Levines Ansicht häufig zu Traumatisierungen besonders auch von Kindern, die sich durch einen geschickteren Umgang mit der Thematik teilweise vermeiden, zumindest aber effizienter behandeln ließen. In Europa kommt das Somatic Experiencing seit den frühen Neunzigerjahren zum Einsatz, in den Folgejahren ist die Methode auch weltweit populär geworden. Heute sind Vertreter des Somatic Experiencing weltweit in Verbänden und Vereinen organisiert und international vernetzt. Lehrgänge und Weiterbildungen zu dieser Methode werden in vielen Ländern angeboten.
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